Niederlassen als Perspektive
NIEDERLASSEN als Perspektive
Der lange Weg einer hausärztlichen Niederlassung in Schöningen: Was wie ein
Routinevorgang wirkt, zeigt einen Paradigmenwechsel in der kommunalen
Daseinsvorsorge
Schöningen, etwas südlich von Helmstedt gelegen, hat so ziemlich alles, was eine niedersächsische Kleinstadt lebenswert macht – ein ansprechendes Stadtbild, schöne Natur ringsum, sogar einen Golfplatz, die Nähe einer größeren Stadt und, wenn es mehr sein soll an Konsum und Kultur, einen Autobahnanschluss nur wenige Kilometer entfernt. Das „Paläon“ zeigt die wohl ältesten Speerspitzen der Menschheitsgeschichte und gibt der Gemeinde sogar eine überregionale Bedeutung. Doch woran es fehlt, sind Ärzte für die Bevölkerung – Hausärzte vor allem. Hier kam Schöningen, wie manch andere niedersächsische Stadt, in Versorgungsnöte.
Mit fünf Hausarztpraxen und einer Hausarztstelle im Medizinischen Versorgungszentrum der Helios-Klinik sind die 11.000 Einwohner Schöningens nur knapp versorgt. Zudem liegt die Stadt im Randgebiet zu Sachsen-Anhalt, und da die hausärztliche Versorgung dort weitaus dünner ist, betreuen die Hausärzte in Schöningen auch noch Patienten aus Sachsen-Anhalt mit. Als im Sommer letzten Jahres eine ältere Kollegin ganz unvorhergesehen ihre Praxis dicht machte, wurde es spürbar eng für die Patientinnen und Patienten in Schöningen. Mit einem Mal gab es Wartelisten.
Einen Praxissitz im ländlichen Bereich nachzubesetzen, das stößt mittlerweile auf größere Schwierigkeiten. Schöningen macht da keine Ausnahme. Doch hier wurde in vergleichsweise kurzer Zeit eine Lösung gefunden: Zum 1. April hat Dr. Friederike Funk sich in eigener Praxis als Hausärztin in Schöningen neu niedergelassen. Dr. Funk hat in Magdeburg Medizin studiert, war vorher als angestellte Hausärztin in dem MVZ der Helios-Klinik tätig. In längeren Verhandlungen konnten die KVN, der Landkreis Helmstedt und die Gemeinde Schöningen sie bewegen, sich selbständig zu machen.
Sind damit die Probleme mit der hausärztlichen Versorgung in Schöningen gelöst? Ja und nein. Der Wechsel aus dem Angestelltenverhältnis in die Niederlassung wirkt zunächst wie ein Nullsummenspiel. Dadurch stehen ja nicht mehr Ärzte für die Bevölkerung zur Verfügung als zuvor. Claus-Peter Hunold, Hausarzt aus Grasleben und Kreisstellenvorsitzender der KVN, wies gegenüber der Presse darauf hin, dass die hausärztliche Versorgung in Schöningen auch jetzt bei nur 90 Prozent liegt. Doch hinter der Praxisneugründung von Dr. Funk gibt es eine andere, längere Geschichte.
Sicherstellung der hausärztlichen Versorgung auf lange Sicht
Die hausärztliche Versorgung im Landkreis Helmstedt und insbesondere in Schöningen steht schon seit etwa zehn Jahren im Fokus der KVN-Bezirksstelle Braunschweig. Denn die Anstellungen im MVZ der Helios-Klinik wechselten immer wieder. Als langfristig stabilisierender Faktor für die hausärztliche Versorgung schied das MVZ daher aus. Die starke Belastung der Praxen sorgte in Schöningen immer wieder für Unruhe bei Ärzten und Patienten. Stefan Hofmann, KVN-Geschäftsführer in Braunschweig, versuchte schon vor Jahren, deshalb mit dem Bürgermeisterder Gemeinde Schöningen ins Gespräch zu kommen. „Ein langer und schwieriger Beratungsprozess“, erinnert sich Hofmann. „Die Sicherung der hausärztlichen Versorgung wurde als alleinige Aufgabe der KVN begriffen.“
Allerdings hat auch Veronika Koch als Landtagsabgeordnete Schöningen beispielhaft für die Probleme der hausärztlichen Versorgung auf dem Land aufgegriffen und mit großem Nachdruck in die Enquetekommission des Landes zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung in Niedersachsen eingebracht. In Schöningen wurde es aktuell, als sich vor den Praxen Warteschlangen bildeten, die regelmäßig in der örtlichen Presse zum Thema wurden. Jetzt wuchs auch in der Kommunalpolitik das Verständnis dafür, dass es bei der Ansiedlung neuer Ärztinnen oder Ärzte ohne die Unterstützung der Gemeinde und des Landkreises kaum noch geht. Die Niederlassung von Dr. Funk ist dafür das beste Beispiel.
Ausschlaggebend für ihre Entscheidung waren die finanziellen Zuschüsse, mit denen Stadt und Landkreis sie bei der Praxiseröffnung unterstützt haben. „Man muss schon einen recht hohen Kredit aufnehmen“, so Funk gegenüber der Presse, „es gibt sehr viele Unsicherheiten. Wenn man also über die Förderung nur einen halb so hohen Kredit aufnehmen muss, macht das schon einen sehr großen Unterschied.“ Die Gemeinde hat auch bei der Suche nach geeigneten Praxisräumen geholfen.
Für KVN-Geschäftsführer Stefan Hofmann liegt der Gewinn dieser Niederlassung vor allem in der strategischen Perspektive. „Seit Jahren ist es das erste Mal, dass sich eine Praxis im Ort ganz neu gründet. Das gibt uns Planungssicherheit für rund 15 Jahre.“ Und die Praxis kann als Keimzelle für eine neue Kooperationsstruktur dienen. Vielleicht gelingt es, dass Dr. Funk Weiterbildungsassistenten und später angestellte Ärztinnen und Ärzte beschäftigt und so die Kapazität ihrer Praxis weiter ausbauen kann. Damit wäre die Versorgungssicherheit in Schöningen langfristig auf eine verlässlichere Grundlage gestellt.
KVNIEDERLASSEN – Kommunale Daseinsvorsorge weiter gedacht
Doch nicht nur dies und die Fördergelder verbucht Hofmann als Erfolg. Er sieht die neue Praxis in Schöningen auch als Resultat eines gemeinsamen Umdenkens auf kommunaler Ebene, die die ärztliche Nachfolge als Baustein der Daseinsvorsorge zu begreifen beginnt. „Durch Moderation der KVN haben sich der Landkreis und die Kommunen hier zu einer strategischen Allianz für die ärztliche Versorgung zusammengefunden. Die KVN hat gemeinsam mit dem Landkreis aktiv eine Richtlinie für die Förderfähigkeit von Praxisansiedlungen bei bedarfsplanungskritischen und relevanten Fachgruppen mitgestaltet und sie den Landkreisen in der Region als Muster zur Verfügung gestellt”, so Hofmann. „Ich freue mich sehr, dass der Landkreis Helmstedt im Rahmen seiner Gesundheitsregion die Notwendigkeit einer ärztlichen Förderung erkannt hat und so einen wertvollen Beitrag zur Ansiedlung von Ärztinnen und Ärzten leistet.“
Das stellt die Bedarfsplanung auf eine neue Grundlage. Schöningen war und ist kein von Unterversorgung bedrohter Planungsbereich. Die KVN kann daher auch keine Förderungen für die Besetzung von Vertragsarztsitzen nach der Strukturfonds-Richtlinie der KVN ausschreiben. Dass es zur Niederlassungsförderung auf regionaler Ebene gekommen ist, ist der beharrlichen Moderation durch die KVN und der entwickelten strategischen Allianz mit dem Landkreis zu verdanken. Das Modell zieht weitere Kreise. Auch in Goslar konnte so die kritische kinderärztliche Versorgung mit einer Förderrichtlinie sichergestellt werden. Im Landkreis Gifhorn beabsichtigen Samtgemeinden im Landkreis, sich zusätzlich zu der Landkreisförderung noch mit einem finanziellen Beitrag zur Praxisansiedlung zu beteiligen. Weitere Landkreise wollen folgen.
KVN blickt in die Zukunft
Für Stefan Hofmann ist entscheidend, dass die KVN bei diesem Prozess die Fäden der ärztlichen Versorgungsnotwendigkeit in der Hand behält. Denn Bedarfsplanung muss nicht von den Bedarfen der Gegenwart, sondern denen der Zukunft her gedacht werden. Damit kennt sich die KVN am besten aus. Auch dafür ist Schöningen ein gutes Beispiel. „Schöningens Bevölkerung wächst nicht weiter“, erläutert Hofmann. „Die Bevölkerungszahl nimmt in den nächsten Jahren ab. Wir müssen uns also heute schon die Frage stellen, ob wir in Zukunft noch an allen Arztsitzen der Vergangenheit festhalten müssen.“ Fördermittel für neue Praxen wären an anderer Stelle im Landkreis eventuell besser eingesetzt – dort vielleicht, wo Neubaugebiete entstehen.
Die KVN kann und will sich für die erforderlichen Abstimmungsprozesse mit in die Überlegungen der kommunalen Entwicklung einbringen. Mit ihrem Know How und Datenfundus kann sie künftige ärztliche Versorgungsbedarfe, Bevölkerungsverschiebungen und sinnvolle Förderschwerpunkte frühzeitig identifizieren. Vor allem darf kein Überbietungswettbewerb bei Ärzteförderungen entstehen, bei dem finanzschwächere Gemeinden am Ende das Nachsehen haben. „Ziel muss die langfristige Sicherung der ärztlichen Versorgung im Landkreis sein”, betont Hofmann. Hier ist die KVN auf einem guten Weg.”